Die deutsche Wirtschaft plant eine Anwerbeoffensive für Fachkräfte aus Lateinamerika und fordert dafür die Unterstützung des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD). Dabei geht es um weit mehr als das Erschließen neuer Märkte in einer der dynamischsten Wachstumsregionen der Welt. Es ist auch ein strategischer Schachzug, um dem steigenden Einfluss Chinas in dieser Region entgegenzuwirken.
Der Bildungsstand in Ländern wie Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien ist beeindruckend hoch. Über 20 Prozent der Hochschulabsolventen haben einen Abschluss in Ingenieurwesen, IT oder Naturwissenschaften – auffallend genug die Fachgebiete mit den meisten offenen Stellen hierzulande. Rund 700.000 solcher Positionen könnten theoretisch von lateinamerikanischen Fachkräften besetzt werden.
Die kulturelle Nähe zu Europa und die hohe Anzahl an Hochschulabsolventen machen diese Region besonders attraktiv für die deutsche Wirtschaft. Zwischen 2010 und 2020 haben laut Schätzungen knapp 80 Millionen Menschen ein Hochschulstudium absolviert.
Neben den Hochschulabsolventen gibt es weitere Talentpools zu erschließen: Schulabgänger nehmen Ausbildungen an Programmierschulen auf und Großstädte wie São Paulo, Bogotá oder Mexiko-Stadt bieten große Standorte mit IT-Spezialisten.
Dieses Engagement könnte einen bedeutenden Beitrag zur Krisensicherheit der deutschen Wirtschaft leisten. Allerdings hinkt Deutschland mit Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Dollar im Vergleich zur OECD im lateinamerikanischen Raum hinterher, weit unter den Zahlen aus China und den USA. Die Herausforderung besteht darin, die Produktivitätssteigerung in der Region zu fördern.
Die Prognosen für Lateinamerika sind trotzdem positiv: Wachstumsraten von bis zu sechs Prozent ab 2027 könnten erreicht werden – vorausgesetzt, es wird auf zukunftsorientierte Branchen mit nachhaltigen Technologien gesetzt und der internationale Handel intensiviert.
Deutsche Unternehmen könnten dabei durch die Ausfuhr von Technologien und Maschinen profitieren. Für lateinamerikanische Länder bieten sich wiederum Exportmöglichkeiten wie zum Beispiel Wasserstoff an. Laut Prognosen könnten Länder wie Brasilien und Chile führend bei der Produktion von grünem Wasserstoff sein, dem Energieträger der Zukunft.
Darüber hinaus sitzt Lateinamerika auf etwa 60 Prozent des weltweiten Lithiumvorkommens – ein unerlässlicher Rohstoff für moderne Batterietechnik. Schon jetzt zeichnet sich ab: Die Nachfrage nach Lithium übersteigt bereits bis 2024 das Angebot.